Daniel Eschkötter

ZwischenFilmWelten
Zu Claire Denis’ Trouble Every Day

Vortrag als Teil der Ausstellung
Katrin Mayer, Eske Schlüters
ZwischenFiguren oder dependency is a marvelous thing
für das Projekt „dazwischen, Zur Kunst des Forschens“ von Elke Bippus und Frank Hesse
HGKZ und Whitespace Zürich, 2007
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Gespenster & Vampire sind spätestens seit 1800 immer auch Figuren medialer Selbstreflexionen. An ihnen, an ihren Rändern löst sich etwas auf, nicht zuletzt das Figuren- & Figurationsprinzip selbst. Oft fungieren, funktionieren sie darüber hinaus als mediale & mediäre Schwellenfiguren in einem Doppelsinn: Zum einen als Refle-xionsfiguren für Grenzgänge & Grenzüberschreitungen – darin sind sie Schlüs-sel(para)phänomene für einen Diskurs der latenten Heimsuchung durch das verdrängte Andere der Gewalt- und Kolonialgeschichten, durch den auszuschließenden Anderen, der die Grenzen von Territorium und Gemeinschaft oder die Reinheit eines biopolitisch (also zum Beispiel über Blut) normierten Volkskörpers bedroht. Zum anderen berührt diese Problematik des Grenzverkehrs, berühren Gespenster und Vampire mit ihrem paradoxalen phänomenalen Status auch die Möglichkeiten hegemonialer Bildverfügung. Was nicht tot und nicht lebendig ist, was nicht im Bild zu bannen ist, irritiert die Zeichenregime der Kontrolle.
Im gegenwärtigen Kino gibt es zahlreiche politische Spektralogien, die sich diesen Doppelsinn anverwandeln, die das absolut Konkrete der Genres des Unheimlichen, des Horrors mit einer Abstraktion kreuzen, einer Übertragungsoperation. Es sind dies oft zerrissene Filme, Filme, die sich zwischen Genrekino und seinem Willen zur Drastik und zum Effekt und Strategien der Reflexion und des Materialismus nicht, so hat es zumindest den Anschein, entscheiden können, wollen, müssen; Filme, die es mit dem Genre nicht genau nehmen, die sich etwas von ihm borgen, Strukturen, Effekte, um sie kurzzuschließen mit einem Realen. Wie solche Allianzen oder Mesalliancen im zeitgenössischen Kino funktionieren, welche Zwischenräume – auch ganz topographisch verstanden – solche Verfahren in den Blick zu nehmen und zu eröffnen erlauben könnten, das soll an Trouble Every Day, einem Para-Vampirfilm der französischen Regisseurin Claire Denis angedeutet werden.
Knapp und schematisch lässt sich das Kino Claire Denis’ vielleicht charakterisieren als ein so abstraktes wie sinnlich-konkretes Kino erotischer und politischer Körper-Bild-Texturen, das diese Polaritäten, die von Abstraktion und Konkretion, die von Sinnlichkeit und Politik, auch die von Genre und Materialismus immer schon hinter sich hat. Es ist ein Kino, in das sich bereits vom ersten langen Spielfilm Chocolat (1988) an die französische Kolonialgeschichte und ihre geopolitischen Effekte als Blickverhältnisse eingetragen haben; ein Kino, das die Körper und ihre Raumer-greifungen, ihre Formierung zu Mikro- und Makrogemeinschaften in den Fokus rückt, durchaus aktualisiert in Figurenhorizonten, aber grundsätzlich defigurierend, realisiert in filmischen Verfahren. Das darin aufgehobene Konzept der Bildlichkeit gehorcht einer doppelten Poetik der Berührung und des Risses; es generiert ein Kino, dessen narrative wie formale Dissoziierungen und Deterritorialisierungen vor allem über eine gleitende Verschaltung von Blick und Haut bzw. Textur erzeugt werden.
Insbesondere anhand der Reihe ihrer Filme seit Beau Travail von 1999, dem an Herman Melvilles und Benjamin Brittens Billy Budd angelehnten Film mit Frem-denlegionären in Djibuti, genauer: mit ihren Körpern in und außerhalb der Disziplin, anhand der genrespezifisch und atmosphärisch radikal unterschiedlichen Trouble Every Day (2001), Vendredi soir (2002) und L’intrus (2004), lässt sich ein Projekt konturieren, das Körper-Raum-Relationen in der Spannung von singulärem Begehren und politischer Kollektivierung entwirft. Die Reihe vollzieht, sehr zugespitzt paraph-rasiert, eine topologische Bewegung von der blutigen Öffnung der Körperoberfläche in Trouble Every Day, über die den brutalen Riss und das ihm vorausgehende Begehren gleichsam heilende, magisch überbietende Erzeugung eines geschlossenen Raumes der Intimität, des Teilbaren in der Mikrogemeinschaft eines Autos in Vendredi soir, einer Liebesgeschichte in einem großen freitäglichen Streikstau in Paris, zurück zur Körperoberfläche und zur Grenze, diesmal Öffnung und Schließung, die Bewegung von Körpern im (globalen) Raum und die Materialität und Ausgesetztheit dieser Körper engführend, in L’intrus, wo der durch eine Herztransplantation zugefügte körperliche Riss mit einem geopolitischen Index versehen wird. Claire Denis’ Arbeiten erweisen sich darin als derzeit vielleicht avancierteste filmische Reflexionen einer „politische[n] Besetzung des Körpers“ – und gleichzeitig als Interventions- und Entsetzungsversuche. Im Folgenden sollen einige Operationen der Besetzung und Entsetzung anhand von Trouble Every Day kurz skizziert werden.
Trouble Every Day ist vielleicht die konsequenteste filmische Version des un-reinen Küsse-Bisse(-Risse)-Reims, den sich Kleists Penthesilea auf die Liebe gemacht hat, eine Horrorfilmparaphrase, die sich diskursiv wie zitativ in das Genre einschreibt, über wenige Re-enactments aus dem Gestenrepertoire des Vampir- und Zombiefilms und über eine für das Genre nicht unübliche Engführung von Begehrens- & Infektionslogik. Diese Setzung bewegt den Film, bewegt seine Protagonisten nach und durch Paris, das frisch verheiratete amerikanische Paar Shane und June Brown, den Wissenschaftler Léo Sémenau und seine Frau Coré. Ihre Bewegungen sind weniger Motivationen, vielmehr buchstäbliche Suchbewegungen: Suchen nach einem Mittel gegen das Blutbegehren (Shane und Léo), nach Liebesobjekten, die zu -opfern werden (Coré und Shane), nach Gründen für das mysteriöse Verhalten des Mannes (June), nach der Frau, die ihrem Begehren folgt und im Begriff ist, jemanden zu Tode zu lieben (Léo).
Mit einem langen nächtlichen Filmkuss eines anonymen Paares in der Schutz-kammer eines Autos beginnt Trouble Every Day.(Abbildung 1) Dieser Prolog, der seinen Logos vom Titelsong der Tindersticks erhält: „It’s on the inside of me / So don’t try to understand / I get on the inside of you“, dieser Kuss infiziert den Film nicht; er geht ihm vielmehr voraus als etwas, das er nicht mehr einholen kann. Dazu musste man sehen, dass es ihn in seiner Welt gleichwohl noch gibt, das Folgende ließe sonst anderes vermuten. Dieser Kuss, das ist der Kuss, der jeder Unterscheidung, aber auch jeder oszillierenden Ununterscheidbarkeit und Grenzgefährdung vorausgeht, der noch nicht selbst infiziert ist – etwa von der Möglichkeit, zum Biss zu werden. Er ist isoliert vom Filmkörper und doch verwoben mit ihm; abgelöst wird er von etablierenden Texturen, buchstäblich (Zeit-)Flussbildern, die dann im Hintergrund die Credits dynamisieren.
Die letzten Takte des Titelstücks ragen in den Tag, in Verkehrslärm hinein. Eine Frau – Beatrice Dalle spielt sie – steht an einer Straße, sie scheint in ihrem Warten an der Straße, mit dem Kleinbus, neben dem sie steht, als Prostituierte konnotiert. (Abb. 2) Diese Frau, die selbst kaum spricht, sondern nur Laute von sich gibt, die Lust oder Schmerz indizieren, wird in Gesprächen später Coré genannt. – Coré ist ein archety-pischer Name, die französische Version eines Namens für Persephone, die griechische Göttin, die zugleich Fruchtbarkeits- und Todesgöttin sein kann; aus dem Griechischen lässt er sich mit ‚Mädchen‘ übersetzen. Und noch mehr kündigt sich in diesem Namen diskret an: die wissenschaftliche Suche nach dem Kern ihres Begehrens, das gleichzeitig ihre Krankheit ist. Diese Suche wird erfolglos sein, wie bei Vampiren gibt es keine cure, kein Gegenmittel, sondern höchstens eine (mehr – etwa in Abel Ferraras The Addiction – oder weniger theologisch determinierte) Erlösung. Und dass Coré vielleicht intuitiv als Prostituierte erscheint, ist durchaus Teil der in zwei Strängen realisierten (Arche-)Typisierungslogik des Films, denn wenig später wird die jungfräuliche June Brown eingeführt.
Christian Petzold, dessen Filme ebenfalls über eine Engführung körper-, bild- und geopolitischer Register Spektralogien des Sozialen entwerfen, beschrieb die anschließen-de Eingangsszene einmal wie folgt:
Beatrice Dalle steht neben einem Spannungshäuschen, am Rande einer Landstraße. […] Ein Truck fährt vorbei. Sie schaut kurz auf. Der Truckfahrer hat sie gesehen. Und ihren Blick. Er hält seinen Wagen an. […] Dieses Anhalten des Wagens wird gezeigt in einer komplizierten Kameraoperation. Alle Einstellungen zuvor waren fest. Einfach. Jetzt aber fährt die Kamera. Ein wenig hinter dem haltenden LKW her. Eine Kranbewegung kreuzt das Heck. Die Bewe-gung hält inne, als der Fahrer die Tür seines Wagens öffnet. […] Merkwürdig fremd ist diese ganze Operation. Sie scheint nichts geschuldet. Sie erzählt nichts. Eine Auflösung in zwei oder drei Einstellungen hätte das Anhalten des Wagens und die Frau, die das Anhalten her-vorgerufen hat, klarer und einfacher erzählt. Die Plansequenz jedoch steht allein und losgelöst da. […] Später sieht man einen Motorradfahrer. […] Die Irritation, die den Motorradfahrer beim Passieren des abgestellten LKWs überkommt, diese Irritation verstehen wir, weil sie entstanden ist aus der oben beschriebenen Kameraarbeit, der Plansequenz.
Was Petzold hier präzise fasst, ist eine für Claire Denis’ Verfahren paradigmatische Operation, die eine Auflösungsökonomie kreuzt mit einem inszenatorisch nicht ein-holbaren Überschuss. Die von Petzold ausgemachte infektiöse Irritation ist nicht nur vorbereitet durch die scheinbar anökonomische Realisierung des Anhaltens des Lastwagens, der Begegnung von Frau und Camionfahrer, sie ist auch Resultat einer in dieser Operation vollzogenen Kippfigur, die struktureller Natur ist (Abb. 3-10): Der Film scheint hier gleichsam auf den Blick des Fahrers zu warten, mitten auf der Straße, dieser Blick trifft sich dann mit dem Beatrice Dalles, allerdings nur für einen Moment, denn danach scheint diese in ihr eigenes Blickfeld zu treten, wo sie dann erneut als Wartende, begehrlich Fixierende etabliert wird. Das anschließende Zurücksetzen des bild- und tonfüllenden roten Lastwagens kündigt die Monstrosität dieses Begehrens an, markiert auch die Verschiebung von Subjekt-Subjekt(Objekt)-Relationen zu einem strukturellen Filmbegehren.
Diese Verschiebung ist nicht totaler Art (wie etwa bei Stanley Kubrick), vielmehr ist sie Teil einer Logik der In-Differenz, denn in Denis’ Filmen scheint es mitunter weder einen großen Unterschied zu machen, ob eine organische oder anorganische Textur, noch ob ein Liebesakt oder ein Gewaltakt, eine unversehrte oder eine aufgerissene Haut gefilmt werden. In einem eminente Sinne ist Claire Denis’ Kino darin Probe auf die Gleichung und Polysemie von pellicule (als Film und Haut/Häutchen), an die der französische Philosoph Jean-Luc Nancy in seinem kleinen Buch über den iranischen Regisseur Abbas Kiarostami, Evidenz des Films, und in seinem Aufsatz zu Trouble Every Day erinnert –und Trouble Every Day ist vielleicht der Film, der diese Doppelung am weitesten führt und der darüber hinaus genau an der Schwelle einer Verlebendigung, einer Organizität der Haut (und) der Bilder und ihrer Mortifizierung operiert.
Die Haut, die Coré und Shane, seine zwei auf eine unbestimmte, lediglich ange-deutete Weise kranken, infizierten Protagonisten, und letztlich auch der Film aufreißen, wird dabei nahezu zärtlich photographiert, gleichsam abgetastet. In Agnes Godards Kinematographie, die Trouble Every Day wie fast allen Filmen Claire Denis’ seine visuelle Signatur gibt, manifestiert sich ein Bild vom Körper als das Gegenteil eines Geschlossenen, Abgeschlossenen: Die Kamera gleitet über die Körper, über ihre Teile, ohne sie zu vermessen, vielmehr scheint sie oft die Orientierung zu verlieren, wo auf der Haut sie sich gerade befindet, wessen Körper sie gerade filmt.
In der Szene der Ankunft Shanes und seiner jungfräulichen Ehefrau in ihrem Flitterwochenhotel in Paris wird die Kippfigur des Anfangs, wie ein vermeintlich subjektiver Blick transsubjektiv wird bzw. seine Subjektivität abstreift, noch einmal radikalisiert, als kontaminative Operation: Die Schnittfolgen mit Shanes insistierendem Blick und der Steadycam-Verfolgung des Nackens eines Zimmermädchens, das gegen Ende des Films von Shane umgebracht wird (Abb. 11-13), etablieren eine Perspektive, die mit ihrem Verlassen des Hotelzimmers der subjektiven begehrlichen Fixierung entkoppelt wird, und generieren das „Gespenst eines frei herumschwebenden Blicks ohne dazugehöriges Subjekt“. Entsteht in vielen Horrorfilmen ein Effekt des Unheimlichen oftmals dadurch, dass eine unpersönliche Perspektive plötzlich zum Blick des Killers umkodiert wird – paradigmatisch vorgeführt in Halloween –, so wird hier das Umgekehrte vollzogen, mithin eine andere Irritation des Bandes, der Naht, die das tertium identificationis zwischen (Blick-)Subjekt und Objekt darstellt.
Am Zimmermädchen und ihren Gängen materialisiert sich diese Dynamik immer wieder mittels Perspektiven, die ostentativ Point-of-View-Shots imitieren: etwa wenn der Film sie beim Umziehen & Waschen zeigt, voyeuristisch zunächst, sehr langsam zoomend & reframend, ihre Brust ins Bild rückend, sie einen, seinen begehrlichen Blick spüren lassend, in der „Konstruktion eines Ortes unmöglicher Subjektivität, einer Subjektivität, die die Objektivität mit dem Ruch eines unaussprechlichen, monströsen Bösen kontaminiert“. (Abb. 14-17) Der Akzent verlagert sich dann mitunter; in das große Register scheinbar subjektiver und objektiver Perspektiven werden mikrologische Verschiebungen eingeführt, Umkodierungen vollzogen zwischen Tatort und Tat-Orten, die Trouble Every Day auch zu einem materialistischen Film, zu einem Repertoire von Lebensformen, von Materialitäten und Materialisierungen eines (wie auch immer) qualifizierten Lebens machen. Man kann das Umschlagen, die Umkodierung recht genau festmachen und etwa in einer Metaphorik des Tastens und des Fixierens beschreiben, und doch vollzieht sie sich mitunter nahezu übergangs-, nahtlos.
Die schon im Titel indizierte alltägliche Störung der Welt in Trouble Every Day, sie erweist sich darin vor allem als konsequente Störung der Konfiguration von Blick und Bezugnahme auf die Welt, von regard und égard. Diese Operation bedingt da-durch, dass sie nicht mehr über eine Subjekt-Objekt-Differenz einzuholen, zu do-mestizieren ist, einen strukturellen Horror, den strukturellen Vampirismus des gesamten Films, in dem eine monströse Begehrensstruktur und soziale, sinnliche Be-obachtungsstrukturen sich als mitunter schnittlos ineinander überführbar erweisen. Das Unheimliche des Films, in dem jeder Kuss zum Biss, jede Berührung zum Riss zu werden droht, liegt vor allem auch darin, dass die unterschiedlichen Blickregime gleichsam eben nur wenige Buchstaben voneinander entfernt sind, dass man oft nicht wissen kann, wann & wo der Kuss aufhört und der Biss anfängt, wo der Film eine soziale oder eine Begehrenslogik ausmisst und wo er selbst von dieser mitgerissen wird.
Dieser strukturellen Gefährdung begegnet Trouble Every Day mit Fragmenten einer diegetischen Verankerung – als gäbe es an der mit Medikamenten bekämpften Blutgier diskursiv etwas zu begreifen, als sei er ein Film über einen zumindest noch narrativ einzuhegenden Schrecken, über ein missglücktes Experiment, mad scientists, naturwissenschaftliche Hybris, Kolonialerbe etwa. In Laborszenarien mit zerlegten Gehirnen, präparierten Hirnsträngen, botanischen Versuchsanordnungen, die diskret Murnaus Nosferatu zitieren, mit implantierten Erinnerungsbildern wird eine Krankheit oder Infektion suggeriert, eine Folge von medizinischen Forschungen, ein Import aus dem restkolonialen Überseedépartment Französisch-Guyana; eine dem Blutbegehren vorgängige Geldgier klingt an („You like money, don’t you?“ wird Shane Brown im Labor adressiert: – „So what.“). Trouble Every Day scheint hier ein hybrides Universalwissen vom biologischen Leben zu installieren (Universal Pharmakon ist der Name der Firma, in deren Auftrag Dr. Shane Brown agierte, für die er die Arbeit Léo Sémenaus gestohlen zu haben scheint, und universal ist auch das Feld der pharmazeutischen, botanischen, neurowissenschaftlichen Forschungen, der bi-oprospections Léo Sémenaus:„nervous diseases, pain, mental diseases and problems of libido…“). Jenseits dieser Spurenstreuung kennt Trouble Every Day keine Pa-thogenese, keine Ätiologie (auch keine des Begehrens), mithin auch keine Gefahr für einen Volkskörper: Man weiß nicht, ob Shane Brown, der subjektivieren, sublimieren, medikamentieren, masturbieren kann, und Coré die einzigen ihrer Art sind, also eben keine Art bilden. Recht eigentlich führen die diskursive Fährte, diese exemplarischen Reduktion auf die Biologizität, und das Begehren, im verspritzten Blut (cruor) „das innere Lebensprinzip [zu] sehen“ – und d. h. zu zeigen, weniger in das Innen, zum Kern des Lebens, sondern vielmehr in das Strukturprinzip des Films, als eine konstitutiv unplausible Plausibilisierung des Blutbegehrens, das sich auf den Film übertragen hat, als Desavouierung der quasi-szientifischen Suche nach einem Innen, seinem Kern. Diese (scheiternde) wissenschaftliche Suche nach dem Kern des Lebens, der suchende, auch künstlerische Charakter im Blutexzess, die Suchbilder und Texturen des Films selbst folgen der oben skizzierten Logik der Gleich-Gültigkeit. Deren Prinzip ist vielleicht eine Wahrheit an den Oberflächen, [e]ine Wahrheit auf und an der Haut, eine Haut als Wahrheit: nicht das Jenseitige der Haut, wohin das Begehren strebt, und auch nicht das darunter, das die Wissenschaft anpeilt, doch genausowenig das spirituelle Geheimnis enthüllten Fleisches.
Dieses Prinzip ist in Trouble Every Day freilich konstitutiv fragil, gleichursprünglich bedroht durch den Riss in der/in die Haut, an den der Kuss/Biss der Protagonisten wie der Kamera rührt, durch das kontaminierende Begehren und die nicht einfach nur metaphorische Koppelung an die Materialität des Films selbst (radikalisiert in einer Szene, in der Coré in Flammen aufgeht, aber vielmehr das Filmmaterial selbst zu brennen scheint). In dieser Doppelung von Riss und Berührung eröffnet Claire Denis’ Film Zonen der Ununterscheidbarkeit, die seine blutbegehrenden Protagonisten, sein Verfahren selbst strukturell korrespondieren lassen mit den von Agamben be-schriebenen Lebensformen, die sich der Trennung zwischen bíos und zoe entziehen und die die Frage eines bloßen, ‚unmarkierten‘ Lebens einerseits, einer biopolitischen Enteignung und Überformung des Lebens andererseits aufwerfen. Trouble Every Day vollzieht diese Frage nicht einfach nur nach, indem er sie in Figurenhorizonten einholt und thematisch macht, er realisiert sie – dies galt es hier in Ansätzen zu zeigen – vielmehr strukturell. Gerade auch die Hybridwesen und Monstren markieren die Zone des Politischen als in Frage stehende: „Was der politische Körper an ihnen, den politischen Hybridbildungen, als buchstäbliche Heimsuchung erfährt, sind die entstellten Spiegelbilder des verworfenen sozialen Selbst.“ Trouble Every Day, das meint als Formel die Alltäglichkeit der Ausnahme, der Verwerfung, die der Film in extremis aufführt und in unterschiedlichen Valenzen, Lebensformen durchspielt. Indem die Logik der Hybridisierung und Monstrosität den Film bis in seine Grammatik, bis in sein Bilddenken erfasst – paradoxerweise gerade im Nicht-Geschiedenen, im Gleiten, indem auch die Monstrosität des Gezeigten und des Zeigens, der Monstration, selbst zusammenfallen, gerät – vielleicht – im Filmfluss, im ‚Trouble Every Day‘, in Trouble Every Day die ‚anthropologische Maschine‘ ins Stocken.

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1 Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt 37 am Main: Suhrkamp, 1976, S. 37.
2 Trouble Every Day. Frankreich/Deutschland/Japan 2001, Regie: Claire Denis.
3 Auch Corés Nicht-Sprechen lässt Trouble Every Day mit Kleists Penthesilea kommunizieren:
Nach der Zerfleischung Achills verliert Penthesilea ihren Status als zoon logon echon auf der inhaltlichen Ebene ganz manifest: Mit ihrem Namen – „Sie, die fortan kein Name nennt“ (H. v. Kleist, Penthesilea. Ein Trauerspiel. in: Reu, Roland / Staengle, Peter (Hg.): H. v. Kleist, Sämtliche Werke. Brandenburger [1988-1991: Berliner] Ausgabe, Basel, Frankfurt am Main 1988ff., Bd. I/5., V.2607) – büßt sie auch ihre Sprache ein.
4 Petzold, Christian: „Trouble everyday“, Eintrag vom 30. 01. 2002 im Weblog new filmkritik, abgedruckt in Omasta, Michael/Reicher, Isabella (Hrsg.): Claire Denis. Trouble Every Day, Wien: SYNEMA, 2005, S. 143.
5 Vgl. Nancy, Jean-Luc: Evidenz des Films. Abbas Kiarostami, Berlin: Brinkmann & Bose, 2005, S. 38; Nancy, Jean-Luc: „Mal der Blutgier. Trouble Every Day von Claire Denis“, in: Omasta, Michael/Reicher, Isabella (Hrsg.): Claire Denis. Trouble Every Day (wie Anm. 4), S. 52–61, hier: S. 55.
6 Zu diesem Paradigma vgl. Nancy, Jean-Luc: Corpus, Berlin: diaphanes, 2003, S. 105.
7 So die Formel Slavoj Žižeks für eine solche Operation. Žižek, Slavoj: Die Furcht vor echten Tränen: Krzyzstof Kieslowski und die „Nahtstelle“, Berlin: Volk & Welt, 2001, S. 14.
8 Vgl. auch Žižek, Slavoj: Die Furcht vor echten Tränen, S. 16.
9 Diese Naht wird in Psychoanalyse und Filmtheorie unter ihrer französischen (und englischen) Bezeichnung diskutiert, der suture.
10 Žižek, Slavoj: Die Furcht vor echten Tränen, S. 17; Hervorhebung im Text.
11 So die Information auf Shane Browns Computerbildschirm. Sie ist freilich nur im Anhalten, im Still zum Indiz zu machen und der Flüchtigkeit der Laufbilder zu entwenden
– wie auch der Zusammenhang von Léo Sémenaus Arbeit mit Forschungen an der timberline, der Baumgrenze, deren Territorium hier so ungewöhnlich wie sprechend „fight zone“ heißt.
12 Nancy, Jean-Luc: Nancy: „Bild und Gewalt“, in Ders.: Am Grund der Bilder, Zürich- Berlin: diaphanes, 2006, S. 31–50, hier: S. 46.
13 Ferrari, Nancy und Federico: „Präambel“, in: Dies.: Die Haut der Bilder, Berlin: diaphanes, 2006, S. 8.
14 Vgl. etwa Agamben, Giorgio: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002, S. 194ff.; sowie Ders.: Was von Auschwitz bleibt. Das Archiv und der Zeuge (Homo sacer III), Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003, S. 41, 47f., 61.
15 Matala de Mazza, Ethel/Vogl, Joseph: „Bürger und Wölfe. Versuch über politische Zoologie“, in: Geulen, Christian/von der Heiden, Anne/Liebsch, Burkhard (Hrsg.): Vom Sinn der Feindschaft, Berlin: Akademie-Verlag, 2002, S. 207–217, hier: S. 212.
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Eschkötter über Trouble every Day auf Cargo-Film:
http://www.cargo-film.de/kino-dvd/die-alltaglichkeit-der-storung/

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© Daniel Eschkötter