Hans-Christian Dany

Menschen mit verstopften Gesichtern

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anlässlich der Ausstellung
»To Show Is To Preserve. figures and demonstrations« von
Martin Beck, Eva Birkenstock, Joerg Franzbecker, Max Hinderer,
Heiko Karn, Hannes Loichinger, Katrin Mayer und Eske Schlüters
Halle für Kunst, Lüneburg, 2008

erschienen in der gleichnamigen Publikation im textem Verlag, Hamburg:
http://www.textem.de/index.php?id=1730
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Ein Wir sagt, es sei in der Welt. Der zusammengesetzte Körper verspricht Vorteile. Er behauptet nicht einer, sondern viele zu sein. Viele zu verkörpern erlaubt es, Problemen mit dem Ich aus dem Weg zu gehen. Wo sich ein Ich im Selbst verfängt, flüstert im Wir das eine Ich zum nächsten Ich. Im Wir entdeckt das Ich die Möglichkeit, neben sich selbst zu stehen. Ein Wir zu behaupten bedeutet aber auch, den Ärger mit den Subjekten zu vervielfältigen. Jedes einzelne Ich im Wir fragt sich, wie klein oder groß es neben den anderen auftreten darf. Und damit fängt es erst an. So ein selbst gesetztes Wir muss sich doppelt erfinden, als Wir und als Ich im Wir. Nur schwer kann es sich der Illusion hingeben, als Apfel nicht weit vom Stamm gefallen zu sein. Im speziellen Fall greift das Wir zu dem Kniff keinen Namen zu tragen. Schien der Name zu schwer, um ihn mit sich herum zu schleppen? Das Wir behauptet, die Namensfreiheit rühre daher, dass es bisher keinen Grund gegeben hätte, sich einen Namen zu geben. Ohne Namen bewegt es sich geschützt, aber auch fragil, eine Zerbrechlichkeit die sich als Möglichkeit und Freiheit nutzen lässt. Und eine weitere Möglichkeit wird eröffnet: Die im Feld der Kunst übliche Teilung der Arbeit wird zugunsten einer Vermengung aufgelöst. Wer innerhalb der Gruppe ohne Namen was tut, versinkt im Nebel. Ob die beteiligten KünstlerInnen die Produktion verantworten und die KuratorInnen filtern und vermitteln, oder die TheoretikerInnnen einen Überbau erdenken: all das bleibt unklar. Vielleicht tun alle alles oder tauschen ständig flink die Rollen? Vielleicht hat sich im Rollenspiel schon alles von selbst getan. In jedem Fall tut sich etwas. Angeblich sprechen die Beteiligten seit mehr als anderthalb Jahren miteinander und gehen außerhalb ihrer Gruppe ohne Namen gewöhnlichen Formen der Arbeitsteilung – wie Herstellung, Vermittlung, Aufwertung und Vertrieb – nach, die sie hier nun in einen Auflösungsversuch überführen. Bei der Infragestellung des auf Trennung gebauten Machtgefüges besticht, dass die Gruppe zu einer präzisen Form findet. Das Gerippe dieser Findung bilden zwei Meter hohe Bauzaunelemente, also vorgefertigte Gebrauchsgegenstände, die für gewöhnlich dazu dienen, eine Trennung aufzustellen. Hier dient der Zaun nur bedingt dazu. Vielmehr führt er durch den Raum und fügt in ihn einen offenen Binnenraum ein. Der Zaun lässt eine Architektur auf Zeit entstehen, die von einem Geflecht aus Verweisen durchzogen ist. Hörbare Träger der Konstruktion bilden zwei Videoprojektionen, auf denen in Schlaufen gelegte Ausschnitte aus dem Film Der unsichtbare Aufstand (1972) von Constantin Costa-Gavras einen Reigen bilden. Das ständig wiederholte Lied der Tonspur durchwirkt den Paravent aus geflochtenem Metall, als sei es ein Schwarm singender Vögel. Damit sich das Gezwitscher nicht gänzlich im Luftigen verliert, wurden anstelle von Kleidern lange Papierbögen über den Zaun geworfen. Die Überwürfe verschleiern die Durchsicht des Gitters, bilden symbolische Blockaden, die im Vorübergehen flattern. Auf einer der papierenen Oberflächen formuliert maschinengeschriebenes Ornament die minimalen Abweichungen einer technischen Logik: Wiederkehrende Wellen könnten ein Fehler im Gewebe sein, oder die Korrektheit theoretischer Physik. Andere Bögen versammeln frühe Untersuchungen zur Körpertechnologie des Sehens. Zwischen den Abbildungen erklärt sich, wie kleinste visuelle Einheiten im Auge des Betrachters zu ganzen Bildern zusammengesetzt werden. Auf Zaunteilen daneben faltet sich dies in Fotogruppen mit geschminkten Pantomimen hinter dem Gitter eines Tennisplatzes. Die Statisten der Referenz aus dem Kino begegnen vielfältig blockierten Durchgängen. Überhaupt werden ständig Bewegungen durch Verstopfung unterbrochen. To Show is to Preserve, der Titel der Ausstellung, ist auch ein Zitat. Mit diesen Worten versuchte Henri Langlois seine Vorführpolitik zu beschreiben. Der Mitbegründer und langjährige Direktor der Cinematèque Française zog es vor, Filme, selbst wenn sie sich schon in einem angegriffenen Zustand befanden, vorzuführen, statt sie in der Unsichtbarkeit des Archivs vor dem Verschleiß zu bewahren. Was bedeutet diese Strategie des Umgangs aus dem Zeitalter der analogen Medien heute in digitalisierten Verhältnissen? Eine Datei zerfällt nicht, außer wenn sie vom Hersteller entsprechend programmiert wurde oder sich auf elenden Trägern wie der CD-Rom befindet, deren absehbarer Zerfall Teil ihrer Konstruktion ohne Zukunft ist. Von den Füßen auf den Kopf stellt mittlerweile eher die Frage, ob Filme durch ihre digitale Verfügbarkeit im Netz verschlissen werden. Alles ist immer da und hört dadurch auf zu existieren. Genau genommen ist dabei aber keine Kopie des Originals verfügbar, sondern eine Kopie, die meist gerade genug überträgt, um von dem eine Ahnung zu bekommen, was das Original transportieren sollte. Was sich zeigt oder gezeigt werden kann erscheint wie ein fragmentarischer Verweis oder ein Substitut. Der Akt des Zeigens verlegt sich vom Öffentlichen ins Private: Einer zeigt einem Anderen in den „eigenen vier Wänden“ seine Lieblingsaufnahme von beispielsweise Maria Callas auf YouTube oder DVD. Der Ort des Zeigens digital reduzierter und mumifizierter Kopien trennt dieses Zeigen zunehmend von öffentlichen Räumen ab, die mal Kino genannt wurden. Und er schiebt ihr Verschwinden, ihren Tod in die Zukunft. In der Architektur von To Show is to Preserve schließen sich die vier Wände nicht, die Räume bleiben offen. Visuell wird in Bildern von Maskierten aus den Abfallhalden des Internet ein weiterer Mitbegründer der Cinemathèque Française wachgerufen.
In den Filmen des Regisseurs Georges Franju beginnen Maskierte, von einer Machtinstanz Beschädigte scheinbar wehrlos und gebrochen als beunruhigende Phantome durch die Tätergesellschaft zu spuken. Neben diesen Verkörperungen verborgener Subjekte findet sich das Foto eines Haufens unbeschriebener Demonstrationsschilder, die am Boden liegen. Vielleicht sind es Schilder, welche noch nicht zur Aussage gekommen sind, vielleicht bleiben sie aber auch einfach unbeschrieben.
Wofür oder wogegen zu demonstrieren sein wird bliebe in einer solchen Leere unausgesprochen. Das zu Zeigende würde sich nicht darin erschöpfen, in Sprache fassbar zu werden. Widerstand ließe sich in einer solchen Askese erhalten, weil die Verhältnisse, denen er widersteht, keine seiner Aussagen durch Kommunikation neutralisieren könnten. Mit der Lautlosigkeit eines schweigend geöffneten Mundes demonstriert das blanke Aussagefeld die Unterbrechung des reibungslosen Ablaufs und die Unsicherheitszone eines möglichen Anfangs.
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Hans-Christian Dany

»To Show Is To Preserve – Figures and Demonstrations«
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erschienen in: springerin, Hefte für Gegenwartskunst, Ausgabe 1/2009

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Lüneburg. Lüneburg liegt einen Katzensprung von Hamburg entfernt. In der schnuckeligen Kleinstadt steht eine Nazikaserne. Ihre Backsteinriegeln beherbergen in diesem Jahr eine Universität. Nachdem nun zwei umtriebige Herren, von denen der eine zuvor für Unternehmen wie Bertelsmann und McKinsey tätig war, das Präsidium besetzen, schiebt sich die im Umbau befindliche Lehranstalt ins Licht der Aufmerksamkeit. Selbst die Bundeskanzlerin zeigt sich begeistert, wie weit vorn man hier auf dem Pfad in die wirtschaftsnahe Wissensgesellschaft marschiert. Der Sog des Aufbruchs scheint unwiderstehlich. Selbst der einst im Zuge der Institutionskritik mit Projekten der von Andrea Fraser initiierten »Services« international bekannt gewordene Kunstraum der Universität hat mittlerweile die akademische Selbstverwaltung verlassen und ist als zentrale Einrichtung dem kunstbegeisterten Präsidium unterstellt.
Sollte man sich gedacht haben, bei der Entstaatlichung der Universität könnte es sich um die jüngste Variante Institutionskritik handeln?
Ulf Wuggenig, leitender Mitarbeiter des Kunstraums, nennt für die Hinwendung zunächst ästhetische Gründe: Das neue Präsidium will, dass der Architekt Daniel Liebeskind auf dem Campus baut, und das würde der hässlichen Nazikaserne doch gut zu Gesicht stehen. Kann sein, nur hätte der Repräsentationsbau einen hohen Preis. Würde Liebeskind bauen, gäbe es für die Universität keine Zukunft ohne die finanzielle Abhängigkeit von dem sich schon jetzt andienenden und global in den Wissensmarkt erschließenden Konzern Bertelsmann.
Leiser wickelte sich jüngst eine andere Personalie im Schatten dieser Übernahmegefechte ab: Im ebenfalls in Lüneburg angesiedelten Kunstverein Halle von Kunst wechselte die Leitung. Der von den StudentInnen Bernd Milla und Heike Munder in den 1990er Jahren gegründete Kunstverein hatte nach der Abwanderung der Gründer in den letzten Jahren ein wenig fahrig vor sich hin gedümpelt und zunehmend war der Leitung die Kontur gegenüber dem Kunstraum verloren gegangen. Deshalb ließ die Neubesetzung mit einem Team, bestehend aus Eva Birkenstock und Hannes Loichinger, in diesem Frühjahr nun hoffen. Schon eine der ersten Ausstellungen mit dem Titel »To Show Is To Preserve« formulierte nun auch erste perspektivische Setzung. Behauptet wird sie von einer Gruppe, welche bisher keine Notwendigkeit sah, sich einen Namen zu geben. Da Birkenstock und Loichinger selbst zu den acht jüngeren KünstlerInnen, KuratorInnen und TheoretikerInnen zählen, die seit anderthalb Jahren im regelmäßigen Gespräch stehen, wird die gewöhnliche Arbeitsteilung – in Produktion, Vermittlung und Distribution – in einen kooperativen Auflösungsversuch überführt. Der vielleicht nicht nagelneue Ansatz besticht, da die Gruppe zu einer erstaunlich präzisen Form findet. Das Gerippe der installativen Setzung bildet ein zwei Meter hoher Zaun aus Maschendraht. Dieser markiert keine Trennung, sondern führt durch den Raum und fügt einen offenen Binnenraum ein. Gleichzeitig bildet er die provisorische Architektur für ein Geflecht aus Referenzen. Hörbare Träger der Konstruktion bilden drei Monitore, auf denen in Schlaufen montierte Ausschnitte aus dem Film »Der unsichtbare Aufstand« von Costa-Gavras einen Reigen bilden. Der geloopte Soundtrack durchweht den Paravent aus geflochtenem Metall zusätzlich. Über den Raumtrenner hängen lange Papierbögen, die dem Gitter seine Transparenz nehmen und leicht im Vorübergehen flattern. Die Bögen teilen den Raum visuell. Auf einem von ihnen findet sich ein maschinengeschriebenes Ornament, dessen minimale Abweichungen einer geheimnisvollen Logik zu folgen scheinen. Andere Bögen bilden frühe Überlegungen zur Technologie des Sehens ab, die sich so erklären, dass kleinste Einheiten in ganze Bilder übersetzt werden. Meist sind es aber aus Fotos ineinandergeschobene Gefüge – geschminkte Pantomimen drücken sich an Gitter, Durchgänge sind blockiert, Bewegungen werden in vielfältiger Form unterbrochen.
»To Show Is To Preserve« bezieht sich auf die Vorführpolitik von Henry Langlois. Der Mitbegründer und langjährige Direktor der Cinematèque zog es vor, Filme, selbst wenn sie sich schon in einem angegriffenen Zustand befanden, vorzuführen, als sie im Versteck und Stillstand des Archivs vor dem Verschleiß zu bewahren. Was bedeutet eine solche Entscheidung aus dem Zeitalter der analogen Medien heute eigentlich? Ein File zerfällt nicht – außer wenn sein Hersteller es entsprechend programmiert oder es sich auf elenden Trägern, wie der CD befindet. Sozusagen auf den Kopf gestellt wird heute öfter die Frage gestellt, ob die »Kulturgüter« durch ihre digitale Verfügbarkeit im Netz verschleißen. Verfügbar ist dabei aber seltener das Original, sondern fast immer eine Kopie, die gerade genug überträgt, um eine Ahnung zu bekommen. Was sich zeigt oder gezeigt werden kann, erscheint eher eine fragmentarische Referenz, ein Substitut. Gleichzeitig hat sich der Akt des Zeigens immer weiter ins Private verlegt: Einer zeigt einem anderen daheim seine Lieblingsaufnahme von Maria Callas auf YouTube oder DVD. Der Ort des Zeigens digital mumifizierter Kopien trennt dieses zunehmend von öffentlichen Räumen ab, die einst Kino hießen.
Nonverbal wird in den Bildern von Maskierten aus den Abfallhalden des Internets noch ein anderer Gründer der Cinemathèque Francaise wachgerufen. In den intensiven Filmen des Regisseurs verkörpern die Maskierten fast immer von der Macht beschädigte Subjekte, die scheinbar wehrlos und gebrochen beginnen, als Phantome durch den Körper der Tätergesellschaft zu spucken. Seltsam verbindet sich mit diesen zu Archetypen des verborgenen Subjekts das Foto eines Haufens unbeschriebener Demonstrationsschilder, die am Boden liegen. Noch unausgesprochen und damit unfassbar markieren sie ein Dagegen, das gerade in seinem noch nicht zur Aussage gekommenen Zustand widerständig wird in einer Machtapparatur, die neutralisiert, was sich kommuniziert. Langfristig, oder »nachhaltig« wie es im Jargon der Konzerne der Wissensindustrie genannt wird, werden solche Fragestellungen aber eher schwerlich ohne die Zäune institutioneller Abgrenzung auskommen.

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© Hans-Christian Dany