Hanne Loreck

Display
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Display (engl., heute international gebräuchlich) bezeichnet jede Größe von Bildschirm ebenso wie eine Schaufenstergestaltung und wird längst auf Verfahren und Ästhetiken des Ausstellens allgemein übertragen. Beim Display handelt es sich ebenso um eine Methode wie um ihr Resultat. To display, so die englische Etymologie, leitet sich von dem lateinischen Verb displicare ab, übersetzt mit ausbreiten oder entfalten. Etwas mit Informations- oder Kaufwert wird über seinen Schauwert attraktiv, also in ästhetisierter visueller Form angeboten. Freilich gibt es die Idee und Praxis verführerischen Ausstellens oder Ausbreitens nicht erst seit heute. Die ersten Handbücher zur Schaufenstergestaltung erschienen um 1900, und es ist kein Zufall, dass die Entstehung des modernen Museums etwa zeitgleich und über die Institutionalisierung bestimmter Ausstellungsstandards anzusetzen ist. Manche Metaphern spiegeln diesen Zusammenhang wider, wenn von Schaufenstern als von „einer Art von Museum für die Straße“(Fn1) gesprochen wird, das für jeden Passanten zugänglich sei, oder auch als von „einer Brücke zwischen dem Ernst des Museums und der Verpackung des Alltags“(Fn2).
In solchen Anleitungen zur effektiven Verknüpfung von optischen und finanziellen Auslagen, von Blick, Konsum und Kultur im Geschäft, manifestierte sich die bereits Jahrzehnte lang unterhaltene Annäherung von Stadtarchitekturen, Institutionen und Warenfetischismus, die Walter Benjamin im Passagen-Werk in der Rolle der Werbung zusammenfasste: „Die Reklame ist die List, mit der der Traum sich der Industrie aufdrängt.“(Fn3) In Displays lassen sich also sowohl die Träume des Individuums – die Passantin sieht, „was sie haben und was sie sein will“(Fn4) – als auch die von Gesellschaften und Kulturen wahrnehmen. An diesem Punkt korrelieren Träume und Ideologien mit Maßnahmen der Gestaltung öffentlicher Situationen und Orte, aber auch der Selbstdarstellung. Fassade und Gesicht teilen die Wortherkunft (lat. facies), und die frühen Schaufenster galten als „das Gesicht, das ein Geschäft der Welt zuwendet.“(Fn5) Das heißt, sie gaben nicht nur sein Bild ab, vielmehr garantierten sie Identität, indem sie Qualität, Wert und Klasse versprachen – nicht zuletzt, indem sie die medialen und technologischen Zeitereignisse reflektierten.
Fassaden und Masken / Gesichter stellen unsere Gegenüber dar. Doch ihrer ansichtig zu werden, scheint nicht zu genügen, denn wir versuchen, Gesichter zu lesen oder hinter die Fassade oder die Maskerade zu schauen, weil der nach wie vor einflussreiche idealistische Diskurs ein Dahinter vorsieht: einen Funktionsraum, eine Psyche, eine Erzählung. Ja, wir entziffern Fronten und Masken geradezu aufgrund des Verhältnisses von Sichtbarem und Verborgenem, wobei solcher „Grund“ wörtlich zu verstehen ist: vor dem Hintergrund einiger arrangierter Objekte, aber auch aufgrund von Erfahrung, Wissen und vor allem von Wünschen. Denn auf Oberflächen – und zu solchen zählen Masken ebenso wie Scheiben, Schaufenster oder Glasrahmen – vermittelt sich das Dahinter mit dem Davor, dem Raum oder Umfeld, oftmals in Form einer Spiegelung. Das heißt jedoch auch, im Rahmen von Displays und Masken einer Sache niemals unmittelbar, sondern immer schon vermittelt ansichtig zu werden.

Allerdings wird Displaying selten als neutrale Tätigkeit des Zeigens verstanden. Vielmehr scheint es von vornherein die negative oder disqualifizierende Dimension einer leeren, ja überflüssigen, da allein um des optischen Anreizes Willen inszenierten Vorführung zu implizieren – solche Demonstration steht unter dem Generalverdacht des Illusionismus. Ihn teilen Maskierungen, Vermummungen und Schleier, wenn sie spielerisch wie absichtsvoll die Identität und ihre Kehrseite, die Identifizierung der Subjekte durchkreuzen. Beschäftigt Katrin Mayer sich mit Displays, mithin mit der Moderne – denn sie hat jene erst hervorgebracht –, so lässt sie diese ebenso kapitalismuskritische wie kulturpessimistische Einschätzung als bloße Reizsteigerung, aber auch als intentionaler optischer Trug im Display Schicht für Schicht abblättern, oftmals, indem sie das Prinzip der Schichtung herauslöst und zu einer eigenen ästhetischen Praxis macht.
Heißt 1953 ein Handbuch der Schaufenstergestaltung The Drama of Display (Fn6), dann wird nicht nur der emotionale Wert einer Auslage im kommerziellen Zusammenhang deutlich, sondern auch die performative Tätigkeit des Zur-Schau-Stellens. Schon Benjamin hatte eine Linie zwischen Passage bzw. Galerie, Ladenfront und Theater im Paris des 19. Jahrhunderts gezogen, mithin zwischen Orten und Architekturen. „This is a visual study of a creative phase of retailing where every window is a stage“, beginnt die Einleitung zu Jim Buckleys The Drama of Display, nachdem das Display in den 1920er-Jahren bereits als eine Kunst gehandelt worden war, die durch „den Mund der Ware spricht“ (Fn7). Die Idee, Produkten einen Auftritt zu verschaffen, hatte von der Theatertechnik und -ästhetik profitiert, die in jenen Jahren für die zeitgenössische Bühne und Schauspiel-, Tanz- und Kabarettform gesorgt hatte. Als sich die Idee des Theatralen im Display bis in die 1950er-Jahre hinein fortsetzte, erhielt das Dramatische allerdings andere Akzente: Wirtschaftswunderzeit, Veränderung des Geschlechterverhältnisses, Ende der Kleiderordnung. Und es kannte nun, nach der im Schaufenstergestalten gefragten Generation der Surrealisten, junge Künstler, die wie Andy Warhol, Jasper Johns und Robert Rauschenberg ihren Lebensunterhalt mit Dekorationsarbeiten verdienten, in die sie ihren künstlerischen Erfindungsreichtum investierten. Während die beiden Letztgenannten ihre kommerzielle Tätigkeit diskret unter der Maske eines gemeinsamen Pseudonyms praktizierten und in den Kunstkreisen über ihren Brotjob schwiegen, hatte Warhol kein Problem, sich mit seiner Gestaltungsarbeit zu identifizieren. Als er beobachtete, wie sich die Vermarktung der Männermode der der Frauenmode anglich, war dieser neue Glamour für ihn ein unübersehbares Indiz für die geschlechtliche Identität als Inszenierung und Rolle: Be- und Verkleidung fielen zusammen. Schließlich hatte er schon lange zuvor an seinen Transvestiten-Freunden die Härte der Arbeit hervorgehoben, die es bedeutete, sich in s/einem Geschlecht zu er/finden. Warhol selbst fing in den 1950er-Jahren an, zeitgleich also mit seinen berühmten New Yorker Kaufhausschaufenstern, seine beginnende Kahlheit mit einem Haarteil zu kaschieren und einen Freund in Drag zu zeichnen. Später trug er nicht nur im Alltag eine silberweiße Perücke, sondern inszenierte sich mit unterschiedlichen Perücken in Drag. Seine Kunstfrisuren wurden zum melancholischen Marker der Geschlechterdifferenz, zwischen Traum vom und Spiel mit Geschlechtspositionen und einer Maskerade, wie sie auch der Karneval und die Guerilla kennen und die auf die funktionale Unkenntlichkeit des Subjekts zielt.

Am Ort des Displays manifestiert sich, im Rückblick, nicht nur die Gesellschaft des Spektakels. Unter der Perspektive der Kommunikation, die mittels einer Waren-Bühne eingerichtet würde, hält auch jedes Schaufenster einen Überschuss bereit: „[…] but there is more in the window than visually meets the eye“.(Fn8) Und das ist der Gesichtspunkt selbst, den der Betrachter und potenzielle Käufer vertritt, und der sich, wie es heißt, aus einem „set of memories, habits, hopes, desires, resentments and wishful thinking“(Fn9) zusammensetzt. Hier entsteht eine Dialektik zwischen BetrachterInnen / KäuferInnen und der Bühne, auf der sie ihr Begehren und ihre Vorurteile austoben. Und wenn sich Katrin Mayer allgemein für Displays, ihre Ästhetiken und Funktionen, interessiert, so lassen sich im Umkehrschluss zur Erkenntnis von 1953 mit Blick auf das Display eben die genannten Konventionen und Träume des Subjekts, der Kultur und der Gesellschaft in einer Zeit ablesen. Schließlich finden sich Displays seltener allein im individuellen Gebrauch; zumindest im abstrakten Sinn sind sie vielfältig zugänglich – um nicht zu sagen: Es ist genau die Adressierung einer gewissen Allgemeinheit, die sie brisant macht. Und schon in den frühen 1950er-Jahren steht die Steuerung des Subjekts durch verschiedene Arten von Zeichen fest: „Symbols and signs, colors and lines control more of his body movements than the liberty-loving citizen may care to admit.“(Fn10) Solche Zeichen oder Markierungen interessieren Katrin Mayer. Sie lassen sich als Bildschreibweisen in Fotografien und ihrer Kombination festhalten. Reflektierendes Glas findet sich dabei nicht nur bei Schaufenstern, sondern filtert auch bekannte Bilder, Kunstwerke eingeschlossen. Einer Maske ähnlich, wirft es den Blick zurück. Zwar prallt das Foto nicht am Fenster – oder Bilderglas – ab, es gibt durchaus den Blick nach innen frei, die Lichtreflexe und Spiegelungen transformieren jedoch das, was das Glas vor einem Zugriff schützen, aber zugleich präsent halten soll.

Da sich Display von displicare ableitet, stehen bei den Untersuchungen und der Kreation von Displays die Komplikation als Zusammen- oder Ineinanderfalten, und die Implikation, das Eingefaltete, Pate. Denn den Zusammenhalt verliert das Ausgelegte oder Entfaltete nie. Allerdings können in der Rekontextualisierung des Materials inhaltliche und formale Dimensionen sichtbar werden, die sich vorher nicht zeigten. Doch bleiben die Teile auch dann aneinander hängen, voneinander und von den Blicken, die sich auf sie richten, und den Zeiten abhängig, in denen sie entstanden sind, sowie von der Zeit, in der sie kritisch-analytisch wie ästhetisch-genüsslich revidiert werden, wenn die Künstlerin sie zunächst isoliert und dann rekombiniert. Unter solchen Blicken, die das Material organisieren, ist der subjektive Blick der Künstlerin besonders wichtig. Doch während er Orte und Situationen in Motive verwandelt und dabei Ausschnitte wählt, gibt er sich bereits als von Vor-Bildern ebenso informiert wie durchkreuzt zu erkennen. Zu den Vor-Bildern zählen dann historische Persönlichkeiten, Kunst- und Märchenfiguren und Kunstwerke gleichermaßen. Gewiss sind solche Ikonen aus Politik, Religion, Mythos, Kunst, Architektur und Alltagskultur wesentlicher Bestandteil einer visuellen Kultur, die freilich ihrerseits längst von Diskursen derart durchzogen ist, dass sich Realität und Fiktion kaum mehr voneinander unterscheiden. Erst der Ort, an dem die Künstlerin sie lokalisiert, und der Kontext, in den sie sie stellt, macht Unterscheidungen temporär möglich, ja sogar nötig. Katrin Mayers exemplarischer Umgang mit Bildern verschiebt dabei die notorische Frage eines Dahinter – hinter der Maske, hinter dem Glas, hinter dem Tor – auf das Nebeneinander ungewöhnlicher visueller Anschlüsse. Diese Methode ähnelt dem VJing (von Visual Jockey), das bislang in der Clubkultur visuelle Environments mit dem Ziel einer synästhetischen Raumerfahrung zu produzieren versucht hat und eine schnelle, fragmentierende Projektion visueller Daten – Bildfragmente, Animationen, Piktogramme, grafische Muster oder typografische Sequenzen – gemischt mit akustischen und Lichtsignalen an die Stelle einer mehr oder weniger geschlossenen Bildsemantik setzt. Für Katrin Mayers in Relation zum VJing wesentlich entschleunigte bildnerisch-konzeptuelle Praxis würde ich jedoch den Begriff der Übertragung für bedeutsam erachten. Jenseits seiner Bedeutung als medialer Transfer im Sinn des Sendens, aber auch der Abschrift ist die Übertragung ein Begriff psychoanalytischer Erkenntnisweisen. In diesem Feld bezeichnet er eine wesentliche Struktur der Beziehungsbildung, in der Affekt- und Wunschmuster auf einen anderen oder mehrere andere Menschen übertragen werden, um sich mit ihnen und gegen sie zu positionieren. Unumstritten sind in der ästhetischen Annäherung an Orte, Objekte, Figuren und Konstellationen (unbewusste) Affekte und Wünsche im Spiel. Mit anderen Worten: Übertragung / Displaying zu betreiben, ist keine mechanische, sondern eine intersubjektive Organisation des Wahrgenommenen oder Recherchierten. Eine solche Re/Organisation handelt von den komplexen Beziehungen zwischen Visualität, den Medien, den Diskursen und Kontexten. Katrin Mayers beispielhafte Konfrontation von Bildern und allgemein von visuellem Material macht dabei deutlich, dass die gegenseitige Übertragung von Bildmustern und auf der Anschauungsebene sich gleichenden Phänomenen wie vor allem Maskierung und Verkleidung auf eine Markierung politischer, ideologischer und kultureller Differenz zielt. Indem Katrin Mayer sowohl mit Merkmalen für und Hinweisen auf Nähe wie Distanz, auf Sichtbares wie Verstecktes oder in Namen und Begriffen visuell lediglich Angespieltes verfährt, zeigt sich im Displaying selbst eine notwendige Kritik am Sichtbarkeitsdiktat der herrschenden Visualität.
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Fussnoten:
Fn1: Mark Francis und Margery King, „Window Displays“, in: The Warhol Look. Glamour, Style, Fashion, Ausst.-Kat. The Andy Warhol Museum, München/Paris/London 1997, S. 100; Übersetzung und Hervorhebung d. Verf.
Fn2: Zit. nach: Leonard S. Marcus, The American Store Window, New York/London 1978, S. 54; Übersetzung d. Verf.
Fn3: Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, hrsg. v. Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main 1982, Bd. V.1, S. 232.
Fn4: Rachel Bowlby, Just Looking: Consumer Culture in Dreiser, Gissing, and Zola, New York 1985; zit. nach: Nina Schleif, Schaufenster Kunst. Berlin und New York, Köln 2004, S. 32; Übersetzung und Hervorhebung d. Verf..
Fn5: Judith Goldman, „Windows“, in: The Warhol Look. Glamour, Style, Fashion, Ausst.-Kat. The Andy Warhol Museum, München/Paris/London 1997, S. 111–116, hier S. 111; Übersetzung d. Verf.
Fn6: Jim Buckley, The Drama of Display. Visual Merchandising and Its Techniques, New York 1953.
Fn7: Elisabeth von Stephani-Hahn, Schaufenster-Kunst: Lehrsätze und Erläuterungen, Berlin 1926.
Fn8: Jim Buckley, The Drama of Display. Visual Merchandising and Its Techniques, New York 1953, S. 12.
Fn9: Ebd.
Fn10: Ebd., S. 20.

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© Hanne Loreck (2008)

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Text erscheint im Katalog zur Ausstellung:
Katrin Mayer, memoiré et doublier, 2013
Sparda-Kunstpreis im Kunstmuseum Stuttgart
im Kerber Verlag
Grafik: Studio Taube

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sowie in
Katrin Mayer, TEMPORARY SCENARIOS – recollected afterglows and yellowed spaces, Publikation, textem Verlag, 2008
http://www.textem.de/index.php?id=1641