Hanne Loreck
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MODE MASKE MARKE
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erschienen in DE LOIN, KOMBINATOR #1, material Verlag, Hamburg, 2005
von Axel (Flo) Gaertner, Heiko Karn, Hanne Loreck, Katrin Mayer
http://material-verlag.hfbk-hamburg.de/katalog/292
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Das Genießen ist nicht die einfache Lust, es ist der Aufschub der Erfüllung. Undenkbar: ein Genießen ohne das Körperliche, weshalb das Kleid und der Raum und alles, was als Objekt oder Technik mit dem Körper, seinen Metaphern und Dimensionen zu tun hat, für den Genuß von Bedeutung sind. Ein besonderes solches Genießen verspricht die Mode und das, was Lifestyle genannt wird, denn beider Figuren inszenieren den Körper zwischen Subjektivität und Kultur, dem Subjekt des Begehrens und den gesellschaftlichen Konventionen, während sie Oberflächen bilden, eine schöner als die andere. Beide können dabei Aktualität – und das heißt im Rückblick: Geschichte – für sich reklamieren, wenn nicht sogar aus dem Eintrag ihrer Produkte, Formen und Ästhetiken in die Gegenwart auf die Zukunft Anspruch erheben. Nicht gerade im jüngsten Jargon der Mode, vielleicht aber umso deutlicher, verwendete Jacques Lacan 1972 in seiner Vorlesung Vom Genuß eine Bekleidungsmetapher, um das Genießen in ein Verhältnis zum Körper und zur Illusion zu stellen: „Es ist das gleiche mit allem, was von der Liebe ist. Die Kutte liebt den Mönch, denn dadurch sind sie eins. Anders gesagt, was unter der Kutte ist und was wir den Körper nennen, das ist vielleicht nur dieser Rest, den ich das Objekt a nenne. Was das Bild halten macht, das ist ein Rest. Die Analyse zeigt, dass die Liebe in ihrem Wesen narzißtisch ist und verrät, dass die Substanz des vorgeblich Objektalen - Bluff - in der Tat das ist, was, im Begehren, Rest ist, nämlich seine Ursache und der Träger seiner Unbefriedigung, ja, seiner Unmöglichkeit.“ 1
Daher faszinieren Bilder. Sie blicken uns genau dort an, wo sich das Versprechen der Ordnung des Symbolischen versagt, weil sich ein Versehen in das verheißene Glück, die versprochene Anerkennung, Eleganz und Intimität, vor allem aber in die Teilhabe am Jetzt eingetragen hat, indem ein Rest unübersehbar wurde. Die meisten der hier wiedergegebenen Bilder aus unterschiedlichen Zeiten und Genres sind weiterbearbeitete visuelle Fundsachen, die aus ihrem Kontext gelöst, in Schwarz-weiss übersetzt und mit Bildern aus anderen Kontexten kombiniert oder konfrontiert wurden. Gefunden wurden sie jedoch nur, weil sie sich sehen ließen (das ist ihr ‚look’) – über ein Muster, ein Raster, eine Perspektive, über Grafik und Typographie, eine Geste, einen Glanz, ein (spiegelndes) Fenster, eine Technik, über etwas, das ihre Oberfläche ausmacht, weil es Oberfläche produziert und zugleich ins Auge sticht. Für die Ebene des Begehrens ist es nicht entscheidend, ob ein solches Bild in einer Zeitschrift gedruckt, auf dem Bildschirm aufgerufen oder von einem Fenster gerahmt wurde. In den Augen derer, die es angesehen hat, zeigte es in jedem Fall etwas Vielversprechendes; etwas ließ es als Symptom erscheinen, das das Assoziieren, das Verknüpfen oder die Kombination der Vorstellungen, geradezu fordert. Für die Assoziation wiederum ist es ohne Bedeutung, ob sie sich aus den ästhetischen Daten, dem sogenannten Inhalt oder einem narrativen Moment speist. Denn Bilder der Versprechung fordern eine Praxis heraus, weil jedes Objekt, jeder Zustand, der je versprochen wurde, im Moment des Versprechens in die Ferne gerückt, nach Forschung und Arbeit, ja, nach Schöpfung verlangt. Genieße!, so das Diktat des Anderen.
Zunächst also haben sich die Bilder zu sehen gegeben. Immer wird dabei mindestens ein Punkt sichtbar, der darüber entschieden hat, auf welche Weise das Visuelle das Symbolische auszublenden und den Blick, dieses von außen Angeschautwerden – punktuell – freizusetzen vermag. Ist Repräsentation historisch, medial, ästhetisch veränderliche Bedeutungsproduktion, so der Blick „ein Konzept, das in einer Dialektik des Begehrens einerseits das Subjekt bestimmt und andererseits, als Leerstelle im Sichtbaren/ Symbolischen, das Wahrnehmungsfeld des-organisiert.“2 Auf dem grundsätzlich instabilen „Feld des Sehens“ gesichtete Bild-Subjekte oder Sujets entstehen und verschwinden also in Relation zur Einbildung und zum Wünschen und nicht in Relation zur Realität – daher muss ein Illusionsapparat so wenig perfekt sein; und daher auch stellen bestimmte Kontextoperationen das Repräsentative eines Bildes oder einer visuellen Figur, die jemanden und etwas gesellschaftlich, kulturell und politisch vertritt, zur Disposition. Solche Wiederholungen zeigen, was uns und vielleicht auch, wie es uns angeht.
Stellen wir nun einen einzigen der vielen (glücklichen) Funde der KünstlerInnen frei, so wie auch die Fotografietechnik vom Freistellen spricht, um die Trouvaille im Sinne eines optischen Versehens für den Ausdruck des Begehrens zu exponieren. Das Bild zeigt ein all over gepunktetes Op Art-Outfit aus dem Kontext von André Courrèges Space Age Kollektion der 1960er Jahre: Ein weibliches Model scheint in einem ärmellosen Hängekleid und einem übergroßen kugelförmigen Astronautenhelm zu posieren.
Beide Teile sind weiß und ebenmäßig mit großen Punkten überzogen, deren perspektivische Anordnung jedoch Volumen, einmal eine Kugel, einmal eine Art von vertikal verlaufender Welle, suggeriert. Dergestalt kann das Kleid kaum je von einem Körper getragen worden sein – wie
bei der Mönchskutte ist auch hier der Körper lediglich der Haftgrund für das Bild. Seine anatomisch prekäre Modulierung überschneidet sich mit der attraktiven Optik, deren Stofflichkeit jedoch an einem Punkt auffliegt: da, wo ein einzelner schwarzer Punkt den Rapport auf der Haut des nackten Armes mustergültig fortsetzt. 1964 ist das Jahr, in dem Lacan die Spaltung von Auge und Blick vorträgt und damit in seiner Theorie den Akzent von der Sprache auf das Visuelle und seine Medien verschiebt: Das (zu sehen) begehrende Subjekt täusche sich in der Annahme, irgendetwas erkennen zu können, ohne grundsätzlich vom Blick in Erscheinung gebracht zu sein: „Ich muß, für den Anfang, auf dem einen Punkt bestehen – auf dem Felde des Sehens ist der Blick draußen, ich werde erblickt, das heißt ich bin Bild / tableau. Dies die Funktion, mit der sich die Institution des Subjekts im Sichtbaren zuinnerst erfassen läßt. Von Grund aus bestimmt mich im Sichtbaren der Blick, der im Außen ist.“ 3 Ein solcherart in Abhängigkeit des Blicks begriffenes Subjekt wird durch einen unabgeschlossenen medial organisierten Materialisierungsprozeß dargestellt, in dem Blick und Licht aufeinander übertragen, ja metonymisch ersetzt werden. Lacans Erläuterungsbeispiele für diese Verflechtung kommen aus der klassischen Malerei und reichen historisch nicht weiter in die Gegenwart als bis zu Cézanne und Matisse, während doch zeitgleich mit seinem Sprechen eine Bridget Riley in ihrer so angreifbaren Musterlust abstrakte räumliche Illusionismen in die Bildfläche einblendete, um mit solchen optischen Täuschungen die V/Erkennungsfunktion des Auges (der Kunstbetrachter) zu inszenieren. War auch der ästhetische Effekt überraschend, ja brillant, Riley nannte Werke des Jahres 1964 Loss und Pause: Gegenüber dem Blick zieht das Auge immer den Kürzeren. Beide Gemälde zeigen einen Punkte-Trompe l’œil und könnten bereits in der Modemontage wiederverwendet worden sein, nicht ohne den traditionellen Mehrwert von first zu second hand verschoben zu haben. „Sowie sie auftritt, ist die Trouvaille ein Wiederfinden, aber auch immer bereit, sich wieder zu entziehen und so die Dimension des Verlusts zu instaurieren.“ 4 Nur auf der Seite des Blicks und des Begehrens wirken der Verlust und die Unterbrechung, das Zögern oder das Schweigen, „ein Flimmern, Schwanken in einem Schnitt des Subjekts [...]“ 5.
Die Reproduktion des space-Design im neuen Kontext übersetzt die ursprünglich farbig gedruckte Seite eines Magazins in das ungleich fragilere Schwarz-weiss, in dem das Punktemuster in einer anderen Art optischer Täuschung in ein Lochmuster zu kippen und dabei den Körper der Frau mitzureissen droht, um sie über ihren Punktepanzer, ihre futuristische Maskerade nur noch hinreissender, begehrenswerter aussehen zu lassen. Genau an diesem Punkt muss das Bild, die Illusion, dazu dienen, einen verwundbaren, traumatischen/troumatischen, also einen löchrigen, sich (unkontrolliert) öffnenden Körper und sein Inneres schützend abzudichten. „Das Bild soll einen Mangel verschließen und verschließt ihn nur zu gut, zu total und schafft so vielmehr eine neue, nunmehr unabschließbare Begehrlichkeit.“ 6 Doch in den Kombinationen, die hier zu sehen sind, wirkt dieses Begehren zurück auf das Bild und macht sich als Bildstörung bemerkbar: als blendender Glanz auf und schwarze Beschichtung der Repräsentation, als Ausgerissenes und Ausgeschnittenes, als in der sichtbar gemachten Drucktextur verwirkter Schein, als leere Mitte oder ins Grau der Reproduktion gewendete Hautfarbe, die, obgleich auf den Körper der Frau, auf die Beine aufgetragen, ihre Nacktheit nicht im geringsten schützt, es sei denn als Bild.
Das Bedeutende an der Geste der Appropriation der bereits existierenden Bilder aus Architektur, Mode, Militär ist, nicht nur von der Differenz zwischen Realismus und dem Realen zu zeugen, sondern beider Kontexte sorgfältig zu inszenieren. Daher macht die Aneignung in der Markierung der visuellen Oberfläche sichtbar, dass jedes noch so transparent schimmernde und ätherische Model von der Anzeige, in der es erscheint, immer schon flachgelegt, auf eine Doppelseite verteilt, von einem Layout erfasst oder mit einem Namenszug, vornehmlich einem Modelabel oder einem Firmennamen, bedruckt zu einer Seite in einem Magazin, einer Zeitung, einer Zeitschrift geworden ist, bevor es zirkuliert, um Begehrlichkeiten zu wecken. Der Blick kann, mit Lacan, nie nicht sexuiert sein. Er ist aber auch nicht unbedingt ein ‚männliches’ Privileg oder Sakrileg, wenngleich kulturgeschichtlich männlich konnotiert. Eher schon zeigt sich dieser Blick als Objekt des Schautriebs in Form einer sich niemals in eine männliche oder weibliche Sexuiertheit auflösende Imitation von Geschlechtsidentität, von Maskerade. Denn er selbst ist ein kunstvoll inszenierter,
ein künstlicher. Als solcher spielt er nicht mit einer sozialen Realität von Frauen (oder Männern), sondern mit der allerdings ebenfalls sozialen Realität von Frauenbildern (oder Männerbildern). Mode und ihre Begierden stellen dafür einen spezifischen Blickrahmen bereit, zumal sie die Grenze zwischen dem öffentlichen und dem privaten Raum bespielt.
In den aktuellen fotografischen Aneignungspraktiken konkurrieren Überbelichtungen und Lichtreflexe, die Schwarzweiss-Ästhetik, Ausschnittsvergrößerungen und Ausgerissenes oder die sichtbaren Hinweise auf das visuelle Reproduktions- und Distributionsmedium, wie etwa die grobe Rasterung eines Motivs, auf der imaginären, der Bildebene mit dem anscheinend lückenlos zirkulierenden symbolischen Kapital der Illusion, von Aktualität, Schönheit und Reichtum und gesellschaftlicher Partizipation. Die Re-Reproduktionen und ihre neue Anordnung unterbrechen diese selbstverständliche Zirkulation und tragen Spuren der Konstruktion solchen ästhetisch-kulturellen Wissens in die Bilder ein. Nun lassen sich die Markierungen zweifach wahrnehmen: einmal als Indizien dessen, dass das Reproduzierte bereits dreimal Geschichte hat – die seines Gegenstandes (ein gewisser look lässt sich auf Anhieb als modern, oder umgekehrt, als nicht mehr ‚modern’ erkennen, ein Produkt als längst nicht mehr im Gebrauch), die seiner Produktionsweise (Maschinen und Arbeitsweisen) und die der medialen Reproduktionstechnologie (Perspektive, Illusionsapparaturen, der Rasterpunkt des Zeitschriftenfotos beziehungsweise die Pixel des Digitalen). Die zweite Sichtweise scheint jedoch grundlegender, weil sie das Begehren noch der Reproduktion der Bilder wie ihrer Reorganisation offenbart: niemals wird das gefräßige Auge satt und der faszinierende Blick unmöglich befriedigt und das heißt befriedet werden – dem funkelnden Brillant des Realen kann man nicht nicht verfallen sein.
Besonders die Refotografie ästhetisch ausgefeilter Modefotos, die Integration von Motiven, deren illusionistische Wirkung alles andere als perfekt kalkuliert ist, der Anschlag von Schattenrissen und Lichtschriften auf die idealistische Trennung von Innen und Außen in Körper und Architektur, von Fassade und Interieur bzw. Innereien – vergleich-bar den inoffiziellen Anschlägen von Plakaten an Wänden im öffentlichen Raum – und das Wiederschreiben verheissungsvoller Namen, ob informeller (Graffiti) oder offizieller, von Geschmacksrichtungen von Lebensmitteln bis zu ebenfalls verschiedene ideologische Geschmäcker signalisierenden Ausstellungstiteln, Computerspielen oder Militäroperationen können deutlich machen, wie Begehrenswertes beschaffen ist und produziert wird. Denn jetzt wird ästhetisch herausgestellt, dass „das, was ich erblicke, nie das [ist], was ich sehen will.“ 7 Das Begehren ist grausam, darüber täuscht das porzellanweiße Fleisch der Models, der Schimmer ihrer Pelze und der Glanz ihres Schmucks, der transparente modernistische Raum und ein klangvoller Name am wenigsten hinweg. Für all die Beispiele gilt die geringe Bedeutung der Realität für das Begehren – „im Verhältnis zum Begehren erscheint die Realität nur marginal.“8
1
Jacques Lacan, Encore. Das Seminar. Buch XX (1972-1973), Textherstellung durch Jacques-Alain Miller, aus dem Franz. von Norbert Haas, Vreni Haas und Hans-Joachim Metzger, Weinheim-Berlin 1986, 11; Kursivierung JL.
2
Susanne Lummerding, Zur Illusion des Bewußtseins, sich sich sehen
zu sehen. In: Martin Sturm / Georg Christoph Tholen / Rainer Zendron (Hg.), Phantasma und Phantome. Gestalten des Unheimlichen in Kunst und Psychoanalyse, Kat. Offenes Kulturhaus Linz 1995, 73–80, 78.
3
Jacques Lacan, Das Seminar von Jacques Lacan, Buch XI (1964): Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Textherstellung Jacques-Alain Miller, aus dem Franz. von Norbert Haas, Weinheim, Berlin 1987, S. 113; Hervorhebung JL.
4
Lacan, Das Freudsche Unbewußte und das unsere. In: wie Anm. 3, 23–34; hier 31.
5
Ebd., 33.
6
Hans-Dieter Gondek, „Eine psychoanalytische Anthropologie des Bildes“.
In: RISS. Zeitschrift für Psychoanalyse. Freud •Lacan, 48./2000–2, 9–27, 19.
7
Lacan, wie Anm. 3, 109, Hervorhebung JL.
8
Ebd., 115.
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© Hanne Loreck